Ergebnis des Gutachtens im Auftrag der Linksfraktion Berlin-Mitte zur Straßenumbenennung im Afrikanischen Viertel

Das Afrikanische Viertel im Berliner Ortsteil Wedding glorifiziert nach wie vor den deutschen Imperialismus und Kolonialismus. So sind die Lüderitzstraße, der Nachtigalplatz und die Petersallee nach Personen benannt, die sich durch Betrug, Geiselnahme, Landraub, Massenmord und Genozid in Afrika hervortaten. Auf Beschluss der BVV vom 24. September 2015 wurde ein Beteiligungsprozess in Gang gesetzt, an dessen Ende Umbenennungsvorschläge für diese drei Straßen durch eine Jury gefunden werden sollten. Aufgrund umfangreicher Kritik am Jury-Verfahren wurde der Prozess, mit dem Beschluss vom 22. Juni 2017 um die Möglichkeit erweitert, die durch die Öffentlichkeit eingereichten Namensvorschläge über die BVV-Fraktionen wissenschaftlich begutachten zu lassen.

Für die Linksfraktion in der BVV Berlin-Mitte wurden Dr. Ellen Ndeshi Namhila und Prof. Dr. Reinhart Kößler aktiv. Aus den von Bürgerinnen und Bürgern gemachten Namensvorschlägen für die Umbenennung wählten sie drei Namen aus, die sie als geeignet erachten. Auf eigenen Wunsch engagierten sie sich unentgeltlich ehrenamtlich.

Dr. Ellen Ndeshi Namhila ist Überlebende des Massakers im Flüchtlingslager Cassinga (Angola) vom 4.5.1978. Sie hat im Exil in Finnland Bibliothekswissenschaft studiert und promovierte 2015 an der Universität Tampere. Sie war auf leitender Position des durch die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) finanzierten Projektes „Archives of Anti-Colonial Resistance and Liberation Struggle“ in Namibia tätig und ist heute Pro-Vice Chancellor der University of Namibia. Sie publizierte u.a. zur oralen Geschichte des Befreiungskampfes in Nordnamibia. Zu erwähnen ist hier: "Tears of Courage. Five Mothers, Five Stories, One Victory“ (Windhoek 2009), welche die weithin verdrängte Rolle von Frauen in der Befreiungsbewegung beleuchtet.

Prof. Dr. Reinhart Kößler ist Entwicklungssoziologe und -theoretiker mit den Schwerpunkten Südliches Afrika und Osteuropa. Seine Studien zum deutschen Kolonialismus in Namibia, zu dessen Folgen und die Auseinandersetzungen darum wurden weltweit rezipiert. Er engagiert sich in Netzwerken zum Postkolonialismus, insbesondere in den Fragen der Entschuldigung und Entschädigung der Bundesrepublik Deutschland für den Völkermord in Namibia und die Rückgabe von im Kolonialismus geraubten menschlichen Überresten an die Herero, Nama und andere betroffene Gruppen. Seit 2015 ist er Visiting Professor and Research Associate am Institute für Reconciliation and Social Justice, University of the Free State, Südafrika.

Beide haben die vorgeschlagenen Straßennahmen auf ihre Eignung überprüft und erachten folgende Umbenennungen für sinnvoll:

(1) Anna-Mungunda-Straße für Lüderitzstraße

(2) Rudolf-Manga-Bell-Platz für Nachtigalplatz

(3) Maji-Maji-Allee für die Petersallee.

Anna Mungunda (1932-1959) war Herero und die erste Frau in Namibia, welche die Unabhängigkeitsbewegung unterstützte. Sie trat für ihre und die Rechte anderer ein und gab insbesondere den Frauen in der Gesellschaft eine Stimme. Sie protestierte gegen die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung von Old Location nach Katatura, die zum Ziel hatte, Platz für europäische Siedler zu schaffen und wurde am 9. Dezember 1959 während einer Demonstration von der Polizei erschossen. Anna Mungunda ist eine Ikone der namibischen Befreiungs- und Frauenbewegung. Der 9. Dezember ist heute der namibische Frauentag.

Rudolf Manga Bell (1873-1914) war König der Douala in Kamerun. Sein Großvater hatte 1884 Gustav Nachtigals unrechtmäßigen „Schutz“-Vertrag unterzeichnet. Rudolf Manga Bell studierte in Deutschland und war entscheidend dafür verantwortlich, dass die deutsche Öffentlichkeit und das Parlament über die Verbrechen des Gouverneurs von Kamerun, Jesko von Puttkamer, informiert wurden. Rudolf Manga Bell wurde am 8. August 1914 nach einem Scheinprozess wegen Hochverrates hingerichtet, weil er mithilfe des deutschen Rechtssystems versuchte, sich gegen die Enteignung seines Volkes zu wehren.

Der Maji-Maji-Krieg (1905-1907) ist der Aufstand der afrikanischen Bevölkerung im Süden des damaligen Deutsch-Ostafrika gegen die repressive, deutsche Kolonialherrschaft. Der Maji-Maji-Widerstand zeichnet sich durch seine breite Allianz zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen aus und war zu nächst sehr erfolgreich. Die deutsche Kolonialmacht schlug die Bewegung jedoch mit größter Brutalität durch die Strategie der „verbrannten Erde“ nieder, indem sie Dörfer und Erntespeicher ausraubte und alles verbrannte, was sich nicht transportieren ließ. Diese Taktik führte zu einer Hungersnot und Entvölkerung des Gebietes. Bis zu 300.000 Menschen starben.

„Wir danken Dr. Ellen Ndeshi Namhila und Prof. Reinhart Kößler für das Engagement und die Einschätzung und unterstützen ihre Vorschläge, die eine zeitgemäße, kritische Perspektive auf die deutsche Geschichte eröffnen.“ so Anett Vietzke, Kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der BVV-Mitte.

Für Nachfragen und das vollständige Gutachten wenden sie sich an kontakt@linksfraktion-berlin-mitte.de oder 030 9018 24565.