Chancengleichheit beim Bildungserwerb trotz Corona-Rückschlägen sichern

BVV Mitte von Berlin

12.04.2021

Fraktionen DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen, SPD

 

Antrag

 

Chancengleichheit beim Bildungserwerb trotz Corona-Rückschlägen sichern

 

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

 

Das Bezirksamt wird ersucht, unter Bezugnahme auf den BVV-Beschluss „Gerade jetzt keine Schülerin, keinen Schüler alleinlassen – Unterstützungsangebote durch Land und Bezirk bedarfsgerecht bereitstellen!“ (Drs. 2868/V), ressortübergreifend und insbesondere in Abstimmung mit den Abteilungen Schule, Weiterbildung und Kultur, Jugend sowie Gesundheit und Soziales die Schülerinnen und Schüler an den Schulen unseres Bezirks dabei zu unterstützen, Corona-bedingte Lernrückstände schnellstmöglich aufzuholen und Lernerfolge zu fördern.

Dazu soll gemeinsam mit den Schulen aller Schularten, der Fachaufsicht der für Bildung zuständigen Senatsverwaltung, schulischen Gremien, sozial- und bildungsorientierten Einrichtungen, wie z.B. der Volkshochschule, sozialen und Jugendhilfe-Trägern und Initiativen, den bezirklichen Bildungsverbünden sowie den außerschulischen Bildungsorten und der Jugendberufsagentur eine Initiative zum Abbau entstandener Lerndefizite entwickelt werden.

Diese Initiative soll entsprechende Angebote des Landes, wie z.B. im Rahmen der „Lernbrücken“, der „Mobilen Jugend Lern Hilfe.Jetzt“, Ferienschulen, TeachFirst und der schulbezogenen Jugendsozialarbeit, ergänzen und mögliche Angebotslücken vor Ort schließen, soweit ein spezieller Bedarf besteht und dieser nicht anders gedeckt werden kann. Es ist darauf abzuzielen, dass bestehende Unterstützungsangebote bei denen ankommen, die sie benötigen.

Bei der Identifizierung diesbezüglicher Bedarfe sollen insbesondere die Schulen, der Bezirksschulbeirat, sozialräumlichen Zusammenschlüsse und nachbarschaftlichen Initiativen und Netzwerke des Bezirks einbezogen werden.

Zielgruppe der Initiative sind alle Schülerinnen und Schüler an Mittes Schulen, unabhängig von der Schulart. Sie richtet sich insbesondere an Kinder und Jugendliche mit besonderem Unterstützungsbedarf. Dazu gehören Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und Lernschwierigkeiten, aus sozial benachteiligten Familien sowie an Kinder und Jugendliche, die zugewandert sind und beim Erlernen der deutschen Sprache und zu ihrer Integration in die Gemeinschaft der Gleichaltrigen besonderen Förderbedarf haben, insbesondere dann, wenn sie mit ihren Familien in Gemeinschafts- oder Notunterkünften leben. Sie hat weiterhin besonders die Kinder im Fokus, die gerade in die Schule gekommen sind und Jugendliche mit und ohne Schulabschluss beim Übergang in die Ausbildung.

Unter anderem sollen flankierend zu den Landesaktivitäten und bei Beachtung der Bestimmungen zur Pandemie-Bekämpfung folgende Maßnahmen durch das Bezirksamt ergriffen werden:

  • Das Bezirksamt benennt eine Person, die lernunterstützende Aktivitäten des Bezirks koordiniert, als Ansprechpartnerin für Initiativen vor Ort, Beteiligte und Betroffene insbesondere zur Identifizierung von Bedarfen fungiert, als Multiplikatorin für relevante Informationen zur Verfügung steht und eng mit der schulischen Fachaufsicht kooperiert. Zur Unterstützung lokaler Initiativen, Patenschaften o.ä. soll ein Fonds eingerichtet werden.
  • Im Rahmen seiner Zuständigkeit wirkt das Bezirksamt auf die Bildung bzw. den Ausbau von individuellen Angeboten oder kleinen Lerngruppenaußerhalb der Schulen, in Jugendfreizeiteinrichtungen, an Bibliotheken, der Volkshochschule sowie anderen Bildungseinrichtungen hin, die in Abhängigkeit vom Pandemiegeschehen Lernunterstützung leisten können.
  • Angebote der bezirklichen Kinder- und Jugendarbeit sowie der Jugendsozialarbeit sind zu nutzen, um außerhalb schulischer Kontexte Zugänge zu Kindern und Jugendlichen zu schaffen und um sie für lernunterstützende Maßnahmen in und außerhalb der Schule zu gewinnen. Auch die Erziehungs- und Familienberatung sowie andere familienfördernde Angebote sind einzubeziehen, um Kontakte zu Familien zu knüpfen bzw. zu nutzen, um auf diese Lernunterstützung hinzuweisen.
  • Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund sind so zu unterstützen, dass sie am Lernen teilnehmen können und den Anschluss nicht verlieren. Dies insbesondere, wenn sie in Not- bzw. Gemeinschaftsunterkünften leben. Hier ist mit Vorrang neben technischer Unterstützung auch Lernhilfe vor Ort, unter anderem beim Homeschooling, zu leisten. Das Bezirksamt wird ersucht, schnellstmöglich den Bedarf an technischer und individueller Lernunterstützung für die betreffenden Kinder und Jugendlichen zu ermitteln und diesen zu befriedigen. Dafür sollen ressortübergreifend und in Zusammenarbeit mit der schulischen Fachaufsicht Zugänge geschaffen und die erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden. Dies zum Beispiel zur Bildung von Tandems zum Erhalt und zur Entwicklung der Sprachkompetenz.
  • Im Bezirk bestehende Kooperationen von Schule und Jugendhilfe sollen genutzt werden, um auch mit Unterstützung des Kinder- und Jugendpädiatrischen Dienstes des Bezirks gemeinsam bestmögliche Rahmenbedingungen für lernunterstützende Angebote zu entwickeln. Dazu gehört auch, psychischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken und/oder geeignete Hilfen zur Erziehung oder therapeutische Hilfen anzubieten, um das Kindeswohl zu sichern und bestmögliche Unterstützung auch beim Lernen zu ermöglichen.
  • Bildungseinrichtungen wie die Volkshochschulen sollen Unterstützungsangebote für Schülerinnen und Schüler sowie Eltern entwickeln, die neben internetbasierten Deutsch- und Integrationskursen auch im Umgang mit digitalen Angeboten, wie dem Homeschooling, unterstützen.
  • Das Bezirksamt soll im Rahmen seiner Möglichkeiten auf die Ferienschulen hinweisen, gegenüber dem Senat auf deren Ausbau hinwirken und für die Teilnahme daran werben.  Für die Ferienschulen und andere lernunterstützende Angebote sind in Übereinstimmung mit dem Pandemiegeschehen geeignete und ausreichende bezirkliche Räume, auch im Freien, bereitzustellen. Es soll gewährleistet werden, dass Maßnahmen des Abbaus schulischer Lerndefizite vorzugsweise vor Ort im Umfeld der Kinder und Jugendlichen stattfinden.
  • Das Bezirksamt wird weiterhin ersucht, mehr Praktika und Ausbildungsplätze anzubieten und in Kooperation mit dem Jobcenter, der Senatsinitiative „Berlin braucht dich“ (BQN) und den Oberstufenzentren auch für Schülerinnen und Schüler ohne oder mit schlechtem Schulabschluss Perspektiven für Ausbildung und Beruf zu schaffen. In Kooperation mit der Jugendberufsagentur soll insbesondere die aufsuchende Arbeit gesichert und bedarfsgerecht ausgebaut werden, um den Kontakt zu jungen Menschen nicht zu verlieren bzw. wieder herzustellen.
  • Das Bezirksamt möge weiterhin in Kooperation mit entsprechenden Initiativen einen Aufruf starten, um mehr ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer, wie z.B. Studierende oder im Ruhestand befindliche Pädagoginnen und Pädagogen für Angebote der Lernunterstützung zu finden, wie z.B. für die Tätigkeit als Lern- und Lesepaten.
  • Das Bezirksamt wird ersucht, soweit möglich, Ferienreisen des Jugendamtes, soweit diese Pandemie-bedingt stattfinden, mit Bildungsangeboten zu kombinieren, zum Beispiel im Bereich der kulturellen oder politischen Bildung oder mit Sport- und Bewegungsangeboten wie dem Erwerb der Schwimmbefähigung. Angebote der Jugendkunstschulen sind bedarfsgerecht auszubauen.
  • Das Bezirksamt möge sich, wenn möglich gemeinsam mit der schulischen Fachaufsicht, per Brief an die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern wenden, um mehrsprachig auf die Landes- und bezirklichen Angebote der Lernunterstützung hinzuweisen und für die Teilnahme ihrer Kinder daran zu werben. Entsprechende Briefe können über Schulen, Träger, LAF- oder ASOG-Einrichtungen, Behörden und Institutionen an die Familien übermittelt werden. Auch migrantische Interessenvertretungen und Zusammenschlüsse sind einzubeziehen.

Alle bezirklichen Angebote der Lernunterstützung sind im Regelfall für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kostenlos beziehungsweise sie sind so auszugestalten, dass sie für Eltern und Kinder unabhängig von der sozialen Lage zugänglich und erschwinglich sind. Für die Finanzierung der aufgeführten und weiterer bezirklicher Initiativen zum Abbau von Lerndefiziten sollen bezirkliche, Landes- und Bundesmittel genutzt werden. Insbesondere die auf Bundesebene geplanten Mittel für ein Bundesprogramm zum Aufholen Pandemie-bedingter Lernrückstände sollen, wenn sie zur Verfügung stehen, genutzt werden.

Das Bezirksamt wird ersucht, den Prozess der bezirklichen außerschulischen Lernunterstützung intensiv zu begleiten, regelmäßig im Hinblick auf die Wirksamkeit der Angebote und Initiativen zu evaluieren und diese bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Darüber soll das Bezirksamt die BVV regelmäßig halbjährlich informieren. Erstmals soll der BVV noch vor Beginn der Sommerferien Bericht erstattet werden.

 

 

 

Begründung:

 

Nach Einschätzung der für Bildung zuständigen Bundesministerin hat ca. ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler Pandemie-bedingt dramatische Lernrückstände. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche aus Familien, die sozial benachteiligt sind. Die hohe Abhängigkeit des schulischen Bildungserfolgs von der sozialen Lage der Familien hat Pandemie-bedingt weiter zugenommen. Um die, noch zusätzlich durch die Pandemie verstärkt kommenden sozialen, gesellschaftlichen und finanziellen Probleme aufzufangen, muss Bildung eine hohe Priorität erhalten. Es ist im Interesse der heranwachsenden Generation und der ganzen Gesellschaft, jetzt schnell und konsequent zu handeln, statt jahrelang zu versuchen, die Folgen dieser Fehlentwicklung zu reparieren.

Das gilt exemplarisch auch und besonders für unserer Bezirk, in dem die sozialen Gegensätze unabhängig von Covid-19 besonders gravierend sind. Darauf hat die Sozial- und Gesundheitsberichterstattung des Bezirksamtes immer wieder hingewiesen. Das wirkt sich auf die Bildungs- und Lebenschancen der Kinder aus, heute stärker denn je. Das Land Berlin hat bereits wichtige Maßnahmen zur Bekämpfung der Lerndefizite eingeleitet. Diese sollen auch darauf hinwirken, die sozialen und gesundheitlichen Folgen der Pandemie auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Diese Aktivitäten der Landesebene können und müssen durch die Bezirke unterstützt und durch geeignete eigene Initiativen begleitet werden. Nur so kann es gelingen, dass die Hilfen auch wirklich ankommen und Wirkung entfalten. Dabei soll es möglichst vermieden werden, Schuljahre zu wiederholen oder Ferienzeiten mit Unterrichtseinheiten zu füllen. Bei der Beseitigung von Lernrückständen und Entwicklungsdefiziten geht es um mehr als Schule und Unterricht. Es gilt, die Entwicklungsbedingungen für Kinder und Jugendliche auch unter Pandemiebedingungen so auszugestalten, dass für jedes Kind und für jede und jeden Jugendlichen Chancengleichheit beim Zugang und Erwerb von Bildung gesichert ist und sie die bestmögliche Förderung ihrer Entwicklung erhalten.  Dafür ist die ganze Gesellschaft verantwortlich.

 

 

Rüdiger Lötzer,

sowie die anderen Mitglieder der Fraktion DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen, SPD